einige Empfehlungen..

Hier finden Sie Buchtipps und Rezensionen, die ich für die „Bibliotheksnachrichten“ des Österr. Bibliothekswerks und für verschiedene andere Medien verfasst habe.

Allen Lesern seien die BN-Bibliotheksnachrichten oder die Online-Adresse http://www.biblio.at/literatur/bn/bnonline.html

ans Herz gelegt.



Barbara Rieger und Alain Barbero

Melange der Poesie

Verlag Kremayr und Scheriau


Die Bedeutung der Wiener Kaffeehauskultur für das „Gesamtkunstwerk Wien“ ist unbestritten. Otto Friedländer bezeichnete das Kaffeehaus als das „erweiterte Wohnzimmer des Wieners“ und Anton Polgar sah darin den idealen Ort für „Leute, die allein sein wollen, dazu aber Gesellschaft brauchen“. Für Stefan Zweig, Karl Kraus, Anton Kuh, Friedrich Torberg und unzählige andere Schriftsteller war das Kaffeehaus der ideale Ort für ihr künstlerisches Schaffen, aber auch für ihr gesellschaftliches Leben. Die Autorin Barbara Rieger und der Fotograf Alain Barbero treten mit diesem  Buch den Beweis an, dass auch in der Gegenwart die Beziehung der Schriftsteller zu „ihrem“ Café ungebrochen vital ist. Sie haben 55 Autorinnen und Autoren in ihrem Lieblingskaffeehaus porträtiert und dafür eine sehr faire Vorgehensweise gewählt: Der Textteil bietet eine Beschreibung des jeweiligen Lokales, wobei auch auf berühmte Stammgäste und seine Geschichte eingegangen wird. Dazu gibt es einen literarischen Text, der für jeden auf exakt eine Seite beschränkt ist. So bekommen weithin bekannte Lokale wie das Prückel, das Sperl oder das Landtmann den gleichen Raum wie etwa das Corbaci, das Ansari oder das Frame, und literarische „Urgesteine“ wie etwa Friederike Mayröcker, Robert Schindel oder Peter Henisch müssen mit der gleichen Zeichenanzahl auskommen wie Saskia Jungmikl, Armin Baumgartner oder Tanja Raich.

Den beiden Autoren ist mit ihrer „Melange der Poesie“ ein wunderbares Buch gelungen, das inspiriert, informiert und auch dazu dienen kann, das ein oder andere – bisher unbekannte Café – kennen zu lernen.


(Johannes Preßl)




Philipp Blom

Was auf dem Spiel steht

Hanser Verlag


Eine profunde Warnung vor dem Menschen als Opfer seines eigenen evolutionären Erfolges.


Der Historiker Philipp Blom beschäftigt sich mit der Frage, was sich künftige Kollegen in zwei, drei Generationen wohl denken mögen, wenn sie einen Blick auf unsere Zeit werfen. Er versetzt sich in diese Situation und schaut auf die kritischen Fragen, die man sich jetzt schon stellt, deren Beantwortung aber eine allgemeine Zukunftsverweigerung im Weg steht. Blom scheut sich davor, als Pessimist zu gelten, doch die Fakten lassen ihm keine andere Möglichkeit. Er attestiert den großen Wirtschaftsmächten und damit allen reichen, demokratischen Ländern ein nostalgisches Verharren in der gerade noch „heilen Welt“ und eine fatale Ignoranz gegenüber den drohenden Veränderungen in der Zukunft. Einer Zukunft, die geprägt ist durch millionenfache Migration, einen tiefgreifenden Klimawandel, kollabierende Sozialsysteme, massenhaftes Artensterben, wirkungslose Antibiotika, steigende Islamisierung und Überbevölkerung. Blom hat ein wunderbares Buch geschrieben, das in einer geschliffenen, aber ohne Umschweife und Phrasen auskommenden Sprache viele konkrete Beispiele aus der Geschichte bietet, die für die Mächtigen der Gegenwart Grund genug sein sollten, umgehend daraus zu lernen und zu handeln.

Ein Buch, das aufrüttelt, ohne plakativ pessimistisch zu sein! Ein Buch, das man unbedingt lesen sollte.






Wolfgang Machreich

EU-Gipfel

28 Höhepunkte Europas, auf die man stehen muss


Der Autor dieses Buches ist ein Journalist durch und durch. Einer, der sich nie mit dem ersten Eindruck begnügt, sondern immer noch „um die nächste Ecke schaut“.

Er ist aber auch einer, der auf die höchsten Erhebungen aller EU-Länder steht (wie es im Untertitel heißt), und der auch auf ihnen gestanden ist, weil er sie allesamt bestiegen hat. Zwischen dem Haltitunturi im Norden Finnlands, dem Olympos auf Zypern und dem Ponta do Pico auf den Azoren verteilen sich weitere 25 Gipfel, die Wolfgang Machreich bestiegen hat. Das ist nicht nur konditionell sondern auch logistisch eine mehr als beachtenswerte Leistung. Der erfahrene Bergfex berichtet pointiert und hintergründig u.a. vom ungarischen Kékestetö, von dem im Winter eine „schwarze“ Skipiste ins Tal führt, vom Aufstieg über die „Teufelsleiter“ auf den irischen Carrauntoohil, von der Schwierigkeit, in Dänemark den höchsten Punkt des Landes überhaupt zu finden, vom estnischen Suur Munamägi, der angeblich dem Riesen Kalevipoeg schon als Kopfpolster gedient hat und vom Kneiff, dem höchsten Hügel in Luxemburg, über den eine von Rasern und Fernlastzügen frequentierte Schnellstraße führt.

Dieses Büchlein ist eine gut lesbare Mischung aus authentischen Erlebnissen und geographischen Fakten, die dem Leser Lust macht, selbst den ein oder anderen EU-Gipfel zu besteigen. Die gut ausgewählten Zitate von Petrarca, Kurt Tucholsky, Sören Kierkegaard, Heimito von Doderer sowie die qualitätsvolle Sprache des Autors machen das Buch auch literarisch wertvoll.



Umberto Eco

Pape Satàn


Der Mailänder Universalgelehrte sorgt auch nach seinem Tod noch für ein Lesevergnügen auf hohem Niveau


Das letzte Buch von Umberto Eco, der im Februar 2016 im Alter von 84 Jahren starb, ist eine weitere Sammlung seiner Kolumnen, die er ursprünglich für die römische Wochenzeitschrift L’Espresso verfasst hat. Der eigenwillige Titel stammt aus dem siebten Gesang der Göttlichen Komödie von Dante, wo der Unterweltsgott Pluto gegen allerlei Missstände wettert. Eines der interessantesten Kapitel widmet der Autor der „flüssigen Gesellschaft“, die geprägt ist durch eine latente Krise des Staates. Er wirft die Frage auf, welche Entscheidungsfreiheit  den Nationalstaaten angesichts des Machtpotenzials der supranationalen Instanzen noch bleibt. Laut Umberto Eco entsteht mit der Krise des Begriffs der Gemeinschaft ein hemmungsloser Individualismus, in dem niemand mehr der Weggefährte der anderen ist sondern nur noch ein Gegner, vor dem man sich hüten muss. Er sieht den deutlichen Verlust der notwendigen Bezugspunkte für das Individuum, was bei den Menschen der Gegenwart zu einer Tendenz des Auffallens um jeden Preis, des Sich-Zeigens als Wert und eines hemmungslosen Konsumverhaltens führt. Die einzelnen Kapitel seiner „Streichholzbriefe“ hat der Autor zu Themenkomplexen zusammengefasst, die dem Leser eine Ahnung von der unglaublichen Bildung dieses Parade-Intellektuellen geben. Dieses Buch ist für jeden Leser eine Herausforderung, die am Ende reich belohnt wird. Es ist eine eindrucksvolle Liebeserklärung an das Lesen in einer Zeit der falschen Propheten und der erhöhten Beschleunigung.





Hans-Peter Vertacnik

Donauwölfe

Emons Verlag


Ein spannender Krimi über die organisierte Kriminalität in Wien und ihre Verbindungen zur Exekutive


In der Wiener Unterwelt gärt es. Das Oberhaupt der Wiener Russenmafia wird brutal ermordet und Major Radek Kubica ist mit einem Fall konfrontiert, der ihn an den Rand eines persönlichen Absturzes bringt. Die Feinde stehen plötzlich auch auf der „eigenen Seite“, und es wird immer offensichtlicher, dass der Landeskriminaldirektor höchstpersönlich zu einem wesentlichen Bestandteil der kriminellen Strukturen geworden ist. Hans Peter Vertacniks Buch beinhaltet alles, was man für einen spannenden Plot braucht: Organisierte Kriminalität, Bandenrivalitäten, Korruption, Bestechung, Erpressung und politische Günstlinge, die trotz beruflicher Unfähigkeit in einem verlotterten System bis in die höchsten Positionen vorrücken.

Hans Peter Vertacnik ist ein Autor, der weiß, wovon er schreibt. Er kann sich aufgrund seiner eigenen beruflichen Laufbahn in die Psyche seiner Hauptfigur Kubica hineinversetzen. Vor allem, wenn er den enormen Druck schildert, der auf einem Polizisten lastet, wenn er in einem Geflecht aus korrupten Repräsentanten von Politik und Exekutive und kriminellen Rotlicht-Größen ermitteln muss.

Das Buch ist enorm spannend und brillant geschrieben und so realitätsnah, dass man als gelernter Österreicher Angst bekommt. Hans Peter Vertacnik ist ein Autor, der weiß, wovon er schreibt. Wer ihn liest, wird mit einem spannenden Lesevergnügen belohnt. Man darf sich schon auf einen nächsten Krimi mit seinem Major Kubica freuen!


Johannes Preßl




Clemens Hellsberg

Philharmonische Begegnungen

Verlag Braumüller


Schriften, Reden und Anekdoten aus dem Innersten der Wiener Philharmoniker


Der Historiker und Geiger Clemens Hellsberg beginnt dieses hervorragende Buch mit einem Begriff, dessen Wert heutzutage von vielen Menschen vernachlässigt wird: die Dankbarkeit. Jener Mann, der 17 Jahre lang als Vorstand den Weg der Wiener Philharmoniker entscheidend geprägt und 36 Jahre als Geiger unzählige Konzerte gegeben hat, ist heute dankbar, dass er so lange Zeit diesem in Klang und Musizierweise einzigartigen Orchester angehören durfte. Hellsberg erinnert in seinen „Philharmonischen Begegnungen“ an jene Künstlerpersönlichkeiten, die für die Philharmoniker von Bedeutung sind oder waren. Es geht darin aber auch um eine ehrliche Schilderung von Höhen und Tiefen, von Triumph und Tragik. „Mit den besten Kräften das Beste auf die beste Weise zur Aufführung bringen“ – so lautete das Postulat ihres Gründers Otto Nicolai. Die Philharmoniker haben dieses hohe Ziel immer angestrebt und es auch erreicht. Sie haben sich durch ein Höchstmaß an künstlerischer Disziplin einen eigenen Klang erarbeitet, der sie heute zum besten Orchester der Welt macht. Dieser unverwechselbare Klang war es auch, der dem Dirigenten Bruno Walter das Gefühl von „musikalischer Heimat“ vermittelte, als er 1947 nach Jahrzehnten im Exil im Jahr 1947 wieder die Philharmoniker dirigieren durfte.

Unzählige musikalische und menschliche Aspekte werden in diesem Buch beleuchtet. Es ist eine inspirierende Quelle für jeden, der ein Empfinden für das Faszinierende an diesem einzigartigen Orchester hat. Clemens Hellsberg hat sich damit zweifellos auch einen eigenen Wunsch erfüllt, nämlich den Menschen „eine Ahnung von Vollendung und Ewigkeit zu schenken.“


Johannes Preßl




Wolfgang Kauer

Frau Venus auf Wanderschaft

Edition Innsalz


Der Kunststudent Will hat gerade einen Autounfall überlebt und hält in Salzburg vergeblich Ausschau nach einer Arbeit. Im Rahmen einer Vernissage lernt er einen Apotheker kennen, der ihn in seinen „Privilegienritterverein“ mitnimmt. Obwohl er hofft, durch das Erlangen des Ritter-Status leichter Zugang zum Kunstgeschäft zu finden, wird er in dieser Gemeinschaft  nicht recht heimisch und fährt im vereinsfreien Sommerhalbjahr nach Sardinien, wo bereits seine Verlobte mit dem neu geborenen Sohn Balú auf ihn wartet. Will, der sich in seinen Essays auf den bisher unentdeckten Zusammenhang zwischen dem Minnesänger Ulrich von Liechtenstein bzw. dessen Königin Venus und den vorchristlich religiösen Vorstellungen, die er in alten Felsritzbildern der nördlichen Kalkalpen gefunden zu haben glaubt, spezialisiert hat, wird von der Tante seiner Verlobten auf seine Tauglichkeit für ihre Familie geprüft. Will soll Busreiseziele ausfindig machen, die sowohl ihre religiösen als auch ihre religionskritischen Freundinnen ansprechen könnten.

Von Ulrich von Liechtenstein ist übrigens bekannt, dass er sich in seinem Roman „Frauendienst“ als „Frau Venus“ verkleidet hat. Es kommt einem Geniestreich gleich, wie Wolfgang Kauer die „historische Ebene“ mit dem Glauben an die Erdmutter-Göttin Venus und die Lebens- und Liebesgeschichte seines Protagonisten Will miteinander verknüpft. Von Rom über Venedig und Grado führt Wills Weg über Kärnten und die Steiermark nach Wien in die Schönlaterngasse, bis er im Kloster von Kremsmünster endlich die Ruhe findet, seine Kunst-Essays über Ulrich von Liechtenstein und dessen Nähe zur vorchristlichen Göttin Venus an den Apotheker in Salzburg zu schicken. Seine Reise endet in einer Klamm unweit des Wolfgangsees. Hier vermittelt der Autor dem Leser scheinbar mühelos die Deutung ganzer vorchristlicher Felsbildwände. Will hat zwar all seine Prüfungen bewältigt und auch in punkto Selbsterkenntnis einen Sieg über sich selbst errungen, aber er versteigt sich in der Klamm und wähnt sich schon in einer aussichtslosen Lage. Wolfgang Kauer überlässt hier den Leser seiner Phantasie.

„Frau Venus auf Wanderschaft“ ist ein wunderbares, höchst empfehlenswertes Buch, das mit jeder Seite inspiriert und auch ein probates geistiges Gegenmittel zur „Geschichtslosigkeit“ unserer Zeit darstellt.


Johannes Preßl



Scott Turow

Die Erben des Zeus


Eine griechische Tragödie im Amerika der Gegenwart


Man schreibt das Jahr 1982. Dita Kronon, die Tochter des ebenso erfolgreichen wie übermächtigen Zeus Kronon, wird ermordet aufgefunden. Ihr Freund Cass Gianis gesteht die Tat und büßt dafür 25 Jahre im Gefängnis. Am Tag seiner Entlassung ist die Stadt in Aufruhr. Sein Zwillingsbruder Paul hat inzwischen eine steile Karriere als Politiker gemacht und ist kurz davor, Bürgermeister jener Stadt zu werden, in die seine Vorfahren vor Jahrzehnten ausgewandert sind. Doch sein Wahlkampf wird massiv von dem inzwischen zum Immobilien Tycoon aufgestiegenen Hal Cronon – Dita`s Bruder – beeinflusst. Er glaubt nach wie vor, dass beide Brüder an der Tat beteiligt waren, dass aber Cass aus Liebe zu seinem Zwillingsbruder den Mord allein auf sich genommen hat. Hal engagiert den Privatdetektiv Tim Brodie und die ehemalige FBI-Agentin Evon Miller, die Pauls Schuld beweisen sollen.

Scott Turow, der mit seinem mit Harrison Ford 1990 verfilmten  Romandebüt „Aus Mangel an Beweisen“ zu den ganz Großen seines Metiers zählt, hat mit dem vorliegenden Roman ein komplexes Verwirrspiel geschaffen, in dem dunkle Geheimnisse, unerbittliche Familienfehden, aber auch homoerotische Beziehungen zwischen den Beteiligten für viel Spannung sorgen. Bei aller sprachlichen Qualität hat man beim Lesen allerdings manchmal das Gefühl, den komplizierten Handlungssträngen nicht mehr folgen zu können. Ein Buch, das Konzentration erfordert, aber das man guten Gewissens empfehlen kann.


Johannes Preßl



Lutz Hochstraate (Hrsg.)

Camerata Salzburg - In Search of Excellence

Verlag Anton Pustet


Wer die Camerata Salzburg kennt, weiß, dass es sich dabei um ein außergewöhnliches Ensemble handelt, das im Bereich der Klassischen Musik eine Sonderstellung einnimmt. Zum 60jährigen Jubiläum des international hoch angesehenen Klangkörpers ist 2012 im Verlag Anton Pustet ein Buch erschienen, das hinsichtlich seiner Qualität dem porträtierten Orchester vollauf gerecht wird. Herausgeber Lutz Hochstraate, der Präsident der Camerata, sieht in dem Jubiläumsband ein unterhaltsames Bild- und Textdokument, das die Entwicklung der Camerata von ihren Anfängen bis in die Gegenwart beleuchtet.

Von Prof. Bernhard Paumgartner 1952 gegründet, war die Camerata der „Zusammenschluss Gleichgesinnter in kameradschaftlichem Geiste“. Paumgartners Intention war es, sich mit einem Kreis von Professoren und ausgesuchten Studenten jenen Werken zu widmen, die in den üblichen Konzertprogrammen nur sporadisch auftauchten. Der Komponist und Dirigent Gerhard Wimberger erinnert in berührender Weise an die glanzvollen Zeiten der Camerata, die mit dem Tod ihres Gründers Bernhard Paumgartner jäh zu Ende waren. Erst mit Sandor Vegh, dem ungarischen Weltbürger und Ausnahme-Geiger ging es in den 70er Jahren mit dem Orchester wieder aufwärts. Vegh formte ein einzigartiges Streicherensemble, das er vom Pult aus leitete und dem er dank seines unverwechselbaren Charakters und seiner charismatischen Ausstrahlung seinen Stempel aufdrückte. In der Praxis bedeutete das, dass er seine Musiker bis zum Äußersten forderte. Die Zitate von Sandor Vegh über seinen Zugang zur Musik, über Interpretation, Rhythmus und Dynamik sind für jeden, der sich mit Musik beschäftigt – unabhängig vom Jubiläum der Camerata – von bleibender Gültigkeit. Eine weitere Qualität des Buches liegt darin, dass es nicht nur die Erfolge kommuniziert, sondern auch wirtschaftliche Schwierigkeiten und künstlerische Krisenzeiten zur Sprache bringt. „In Search of Excellence“ ist ein wertvolles Buch, das auch Jahre nach dem aktuellen Jubiläum nichts an Gültigkeit eingebüßt hat.


Johannes Preßl




Toni Stricker

Mein Weg nach Pannonien

Seifert Verlag, Wien


Der Werdegang der Geigerlegende Toni Stricker zur „Stimme Pannoniens“


Der Geigenvirtuose Toni Stricker erzählt in diesem inspirierenden Buch über Begegnungen mit großen Persönlichkeiten aus der Musik- und Filmwelt sowie über seinen künstlerischen Werdegang vom Swinggeiger zum Schöpfer seiner eigenen „Pannonischen Musik“. Er erinnert sich an die Zeit, als der spätere internationale Jazzgitarrist Attila Zoller mit seiner Frau Vera Auer noch Schlager spielte und Joe Zawinul mit seinem Akkordeon in einem Wiener Tanzcafe von Tisch zu Tisch ging.

Aber auch für jene, die kein dezidiertes Interesse an Musik haben, ist Toni Strickers  Biographie ein interessantes Zeitzeugnis der 2. Republik. Der Stargeiger schildert die Lebensumstände im Wien der unmittelbaren Nachkriegszeit authentisch und überzeugend: Eine kleine Wohnung, in der er zusammen mit seiner Frau Sybill neben Eltern und Großeltern lebte, das Violinstudium am Konservatorium und zusätzlich viele Auftritte als Swing-Geiger, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Toni Stricker war immer ein Mann mutiger Entscheidungen. Er verzichtete auf eine fixe Anstellung bei den Wiener Symphonikern, weil er  seinen Weg als freier Musiker gehen wollte. Dass ihm das gelungen ist, zeigt seine Erfolgsgeschichte.

Es ist die Biographie eines großen Künstlers, der trotz jahrzehntelanger Erfolge immer bescheiden geblieben ist und immer wieder – auch im Umgang mit den Mächtigen des Kulturbetriebes -  Courage und Haltung bewiesen hat. Ein Buch über einen großen Künstler und Menschen.


Johannes Preßl, Jänner 2015





Alfred Komarek, János Kalmár

Schräge Vögel


Ein zauberhaftes Proträt von vierzehn Persönlichkeiten, die sich beharrlich weigern alles hinzunehmen


Allein das Vorwort – vom Autor originellerweise als „Manifest“ bezeichnet - ist schon ein sprachliches Erlebnis. Darin bekundet er seine Sympathie für Menschen, die sich lieber alles herausnehmen als alles hinzunehmen.

Wer den Autor kennt, der weiß, dass er damit beiliebe nicht jene Menschen meint, die sich auf Kosten anderer zuviel herausnehmen, sondern Lebenskünstler, die mit ihrem Tun einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Die Puppenkünstlerin Julia Reichert gehört ebenso zu den Proträtierten wie der Schuhfabrikant Heini Staudinger oder der Bildende Künstler Daniel Spoerri. Alfred Komarek porträtiert den Schriftsteller Bodo Hell, der auf der Grafenbergalm am Dachsteinplateau jedes Jahr ab Juni um halb 5 Uhr seine Geißen melkt und für die Pferde und Kälber der Ramsauer Bauern die richtige Weide sucht, bevor er an seinen täglichen Almnotizen arbeitet, die er – penibel beobachtend und dokumentierend – in seiner sommerlichen Lebenswelt aufzeichnet. Am Beispiel des erblindeten Akkordeonkünstlers und Kafka – Verehrers Otto Lechner zeigt der Autor seine Kunst, mit subtilen Mitteln die vielen verschiedenen Schichten seiner „schrägen Vögel“ freizulegen.

Im letzten Kapitel beschreibt sich Komarek selbst als Liebhaber seiner „Wohnhöhlen“ in Wien, Bad Aussee und im Weinviertel. Alfred Komareks Hommage an die bunten Vögel der österreichischen Gegenwart ist voller Liebenswürdigkeit und Respekt – es ist eine sprachlicher Glanzleistung, die durch die stimmungsvollen Fotos von Janos Kalmar kongenial ergänzt wird.


(Johannes Preßl)





Katharina Vokurka

Felizitas Schattenmänner weinen

Leykam Verlag


Ein Thriller mit Tiefgang und großem Bildungshintergrund – bis zum Gärtner mit einem Faible für Schopenhauer.


Der Oberstaatsanwalt Dr. Carl Hohenwitz befindet sich in einer ausweglosen Situation. Er ist in ein Bett gefesselt und wird gerade von einer geheimnisvollen Schönen psychisch und körperlich fertig gemacht. Wovon er sich ein erotisches Abenteuer erträumt hat, wird zum Kampf um Leben und Tod. Handelt es sich bei der Täterin um die junge Psychiaterin Dr. Felizitas Escribano Sebastian? Allen Grund dafür hätte sie. Ihre Eltern, ihr Mann und ihre Tochter waren innerhalb kurzer Zeit auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen. Felizitas kommt in Wien einer kriminellen Vereinigung von Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Medizin und auf die Spur, die im Zusammenhang mit schwer misshandelten jungen Mädchen zu stehen scheint. Die zentrale Gestalt in diesem abartigen Geheimbund scheint ihr längst verstorbener Großvater, der Psychiater Prof. Curd Hessreich zu sein. Er hatte schon in den 30er Jahren mit den Nationalsozialisten kollaboriert und Besitzungen gigantischen Ausmaßes auf Kosten jüdischer Familien angehäuft.

Was folgt, ist Spannung auf höchstem Niveau. Wenn viele Jahre lang Buchrezensionen schreibt, freut man sich jedes Mal über Bücher, die aus der Masse herausragen. Katharina Vokurka hat einen Thriller geschrieben, der den internationalen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Die Autorin baut den Spannungsbogen dramaturgisch großartig auf und versteht es, auf dem Weg zum Plot der Geschichte die Charaktere und Schauplätze so zu beschreiben, dass man das Buch am liebsten in einem Zug lesen möchte.


Johannes Preßl, Mai 2014




Alexander Schimmelbusch

Die Murau-Identität


Thomas Bernhard ist nicht tot, sondern lebt auf Mallorca und stellt seinem alten Verleger ein neues Buch in Aussicht


Ein freischaffender Kulturjournalist namens Alexander erhält eines Tages ein Kuvert, in dem mehrere Reiseberichte von Thomas Bernhards Verleger stecken. In diesen Berichten reist der Verleger – im Buch unschwer als Siegfried Unseld zu erkennen – dem Autor hinterher, der seinen eigenen Tod 1989 nur fingiert hat und inzwischen unter dem Namen Franz-Josef Murau auf Mallorca lebt. Thomas Bernhard ist nach einer Antikörpertherapie quicklebendig. Er hat seit seinem vorgetäuschten Tod mit der feurigen Esmeralda einen Sohn namens Esteban gezeugt, der seinerseits in New York als Finanzjongleur lebt. Die Reiseberichte des Verlegers werden in Schimmelbuschs Roman regelmäßig durch eine Art Roadmovie des Journalisten unterbrochen, der sich auf die Suche nach Thomas Bernhard begibt. 

Der Autor ist dort am besten, wo er mutig wird und mit der Niedertracht gewisser österreichischer Politiker ebenso schonungslos abrechnet wie mit den perversen Sicherheitsbestimmungen der Amerikaner. Alexander Schimmelbusch hat einen gut lesbaren Roman über den Literaturbetrieb geschaffen, der etwas angenehm Leichtes an sich hat. Das wiederum ist auf den lockeren Grundton der Sprache zurückzuführen ist. Das Buch inspiriert, wirkt aber nie oberflächlich. Eine angenehm leichte Lektüre, die in jede Bibliothek passt.


Johannes Preßl





Hans Salomon und Horst Hausleitner

Jazz, Frauen, und wieder Jazz


Der Saxophonist Hans Salomon, einer der ganz Großen der österreichischen Jazzszene, feierte 2013 seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Grund blickt er mit diesem wunderbaren Buch zurück auf ein Leben voller Musik. Der Wiener Hans Salomon wuchs in einer Zeit auf,  in der Hunger und Bedrohung herrschten und es nicht selbstverständlich war, ein Musikinstrument lernen zu können. Dementsprechend entbehrungsreich war der Weg zum ersten eigenen Instrument des Musikers, der sich schon früh „Salomon“ als Künstlernamen zugelegt hatte und dessen wirklichen Namen man auch im Buch nicht erfährt. Hans Salomon hatte schon sehr früh den festen Willen, Jazzmusiker zu werden. Mit ungeheurer Zähigkeit lernte er von den besten Musikern seiner Zeit und entwickelte sich immer weiter. Legenden wie Fatty George, Hans Koller und Karl Kowarik zählten zu seinen Lehrern, bald sollte er mit den Stars der internationalen Szene auf der Bühne stehen. Hans Salomon war aber nicht nur als Saxophonist international begehrt – auch als Arrangeur und Komponist waren ihm große Erfolge beschieden.

Der Seifert Verlag hat mit der Biographie des österreichischen „Jazz-Urgesteins“ Hans Salomon ein Buch heraus gebracht, das ein Lehrstück für jeden angehenden Musiker sein kann. Es ist das Beispiel eines großartigen Musikers, der es mit Fleiß, Ausdauer und Konsequenz bis an die internationale Spitze geschafft hat. Für Leser, die vor allem am Musiker Hans Salomon interessiert sind, mögen die ausführlich erzählten Beziehungsgeschichten oft ein bisschen zu viel Raum einnehmen. Aber diese Tatsache schmälert den Wert des Buches als persönlichen Abriss der österreichischen Jazzgeschichte nicht.


Hannes Preßl




Gustav Ernst

Grundlsee

Haymon-Verlag 2013


Es gibt selten ein Buch, bei dem das Cover so viel über den Inhalt aussagt, wie bei diesem. Auf den ersten Blick könnte man von einer idyllischen Landschaft sprechen, wären da nicht die schweren Wolken, die über dem See hängen.

Im ersten Teil des Romans zeigt sich eine glückliche Familie. Die Kinder suchen jede Möglichkeit, die Nähe ihrer Eltern zu spüren und stellen grundsätzliche Fragen über Leben und Tod. Von da an geht alles sehr schnell. Aus den Kindern werden Erwachsene, deren Lebenswege in verschiedenste Richtungen führen. Als gemeinsame Basis bleibt ihnen die Erinnerung an viele schöne Urlaube am Grundlsee. Der Autor, der sich in der Gegend rund um den Grundlsee bestens auskennt, arbeitet mit großen Zeitsprüngen und bringt dadurch viel Tempo in die Geschichte. Gerade noch war die Welt der Familie in Ordnung, stirbt der Vater bei einem Flugzeugabsturz und von da an stehen die gewöhnlichen und ungewöhnlichen Todesumstände der Familienmitglieder im Vordergrund. Nur Bella bleibt letztendlich am Leben. Für sie bleibt der Grundlsee das Symbol für glücklichere Tage.

Gusav Ernst ist mit „Grundlsee“ ein starker Roman über eine entwurzelte Gesellschaft gelungen, deren Protagonisten zwar beruflich erfolgreich, aber ohne ein Gefühl für Heimat sind.


Johannes Preßl




Gerhard Tötschinger

Die Donau

Amalthea Verlag


Mit unglaublichem Detailwissen widmet sich der Autor und Moderator Gerhard Tötschinger dem Donaustrom. Seine Reise führt von den Quellflüssen Brigach und Breg im Schwarzwald donauabwärts bis zur Mündung ins Schwarze Meer. Der Autor versteht es dabei, jeden Abschnitt mit außergewöhnlichen historischen und kulturhistorischen Details anzureichern. Gerhard Tötschinger schreibt so, wie er aus seinen Fernsehsendungen bekannt ist. Scheinbar mühelos verbindet er das Eine mit dem Anderen und schafft so ein großes Leseerlebnis. Der Autor erklärt anhand der Donau Österreichs Geschichte auf verständliche und spannende Weise. Wohltuend ist, dass er dabei nicht allgemein Bekanntes wiederholt, sondern viele neue Aspekte und Anekdoten einbringt. Dazu gehört auch die Geschichte, wie Prinz Eugen von Savoyen 1683 aus seiner Heimatstadt Paris nach Passau flüchtete, um vom dort weilenden Kaiser Leopold I. das Kommando über das Regiment der – bislang von seinem Bruder befehligten – Savoyendragoner zu erhalten. Damit war der Grundstein für eine militärische Laufbahn gelegt, die während der Türkenkriege für Österreich größte Bedeutung erlangen sollte.

Die mit großer Sorgfalt ausgewählten Bilder und Fotos sowie ein klares Layout machen das Buch sehr gut lesbar, durch ein umfassendes Orts- und Personenregister eignet es sich auch als ideales Nachschlagewerk.


Johannes Preßl





Thomas Trenkler, Rita Newman

Ich fiel in eine Welt


Österreichische Kulturschaffende geben Einblick in ihren Werdegang und ihren künstlerischen Antrieb.


Der Kulturjournalist Thomas Trenkler lässt 27 Künstler und Kulturschaffende über ihren Lebensweg erzählen. Es sind Gespräche über Karrieren und Krisen, über Motivationen und Sehnsüchte. Und da ist vor allem die zentrale Frage, warum sie alle den Weg als Schriftsteller, Schauspieler oder Künstler gewählt haben. Michael Heltau, Gerhard Haderer, Valie Export, Felix Mitterer und Arnulf Rainer eröffnen ebenso interessante Einblicke in ihren künstlerischen Werdegang wie Andrea Eckert, Gustav Peichl oder Julian Schutting. Peter Turrini etwa gibt zu, dass er schon als Kind die Bauernmädchen seiner Nachbarschaft mit Gedichten verfolgt hat, Johanna Rachinger begründet die Entscheidung, 600.000 Bücher durch google digitalisieren zu lassen mit dem Ziel, die Österreichische Nationalbibliothek auf einer breiten Basis öffentlich zugänglich zu machen, während Otto Brusatti das Bild von Joseph Haydn zurechtrückt. Für ihn, der sich jahrelang mit Leben und Werk des Komponisten beschäftigt hat, war Haydn nämlich weniger der gutmütige „Papa Haydn“ als vielmehr ein eitler Weltstar, der viel Geld für seine zahlreichen Geliebten brauchte. Die ganz- und doppelseitigen Fotos stammen von Rita Newman. Sie bilden gewissermaßen ein optisches Entree im vordersten Teil des Buches. Somit kann sich der Leser vom Interviewten schon „ein Bild machen“, bevor er den Text liest. Dieses Buch ist ein Beispiel für Kulturjournalismus auf einem sehr hohen Niveau. Es ist allen Bibliotheken zu empfehlen!


Johannes Preßl




Leopold Federmair

Die Apfelbäume von Chaville

Jung und Jung, 2012


Der geborene Oberösterreicher Leopold Federmair lebt als Schriftsteller, Kritiker und Übersetzer in Hiroshima und zeigt sich hier als ausgesprochener Handke-Experte. Seine Annäherung an den Dichter ist ein langsames Aufeinanderzugehen. Er trifft den „Landgänger im städtischen Sakko“ zu einem Gespräch und stellt immer wieder Verbindungen zu Handke`s Büchern her. Und die kennt Federmair ganz genau! Schon bei der ersten Begegnung erinnert er sich an eine Figur aus „Die Lehre der Sainte-Victoire“, eine „spezifische Art von Freiheit verkörpernde Gestalt“, die auch in „Immer noch Sturm“ vorkommt. Federmair besticht durch Überblick und Detailwissen. Immer wieder stellt er Bezüge von Handke`s Büchern zu dessen eigener Lebensführung her. Schließlich hat der in Chaville bei Paris lebende Literat wie kaum ein anderer Zeit seines Lebens daran gearbeitet, Schreiben als Lebensform zu begründen. So gut wie alle Werke setzt Federmair in Verbindung zu den zentralen Elementen in Peter Handkes Leben: den Frauen, Pilzen, dem Zorn, der Empfindlichkeit, dem Faschismus, Jugoslawien und ...... den Apfelbäumen.

Das umfangreiche Werk des Schriftstellers auf nur 300 Seiten derart komprimiert mit dem Menschen Peter Handke in Beziehung zu setzen, ist eine beeindruckende Leistung. Dieses Buch sollte in keiner Bibliothek fehlen!


Johannes Preßl





Franz Winter

Orfanelle

Ein Venedig-Roman

Braumüller Verlag, 2012


Der international ausgezeichnete Musikproduzent Franz Winter lässt diese grandiose, auf historischen Tatsachen beruhende Geschichte im Venedig des frühen 18. Jahrhunderts spielen. Hunderte unehelich geborene Mädchen werden in Waisenhäusern abgegeben und zu Mägden, Nonnen und Krankenschwestern erzogen oder als Siedlerbräute nach Übersee verkauft. Die begabtesten dieser bedauernswerten Geschöpfe werden zu Musikerinnen ausgebildet und im „Orfanelle“, dem Mädchenorchester des Ospedale Santa Maria della Pietà, zusammengefasst. Für sie schreibt Antonio Vivaldi seine brillantesten Chorwerke und Konzerte und die Orfanelle wird bald zu einer Hauptattraktion der Serenissima. Die Geigerin Pelegrina und ihre Freundin Anna sind die vielumjubelten Stars des Orchesters. Doch auch sie sind vor einem unbarmherzigen Schicksal nicht gefeit. Pelegrina wird von der Priorin der Pietà für den Preis eines Landgutes als Mätresse an einen deutschen Grafen verkauft. Im Moment ihres Abschiedes aus Venedig, einer der ergreifendsten Szenen des Buches, schenkt ihr der Meister seine wertvollste Geige, die „La Rossa“ von Amati. Anna wird die Geliebte von Vivaldi, der eigentlich katholischer Priester ist, und geht mit ihm einen dornigen Weg gegen die Anfeindungen der Kirche. 

Es gibt nur wenige Autoren, welche die Energie der Musik in einer ebenbürtigen Sprache beschreiben können und dabei auch noch für atemlose Spannung sorgen. Franz Winter ist ganz sicher einer von ihnen. Seine profunden Musikkenntnisse und sein hoher Qualitätsanspruch kommen hier auf jeder Seite zum Ausdruck. Ein wunderbares Buch, bei dem keine Zeile zu viel ist!


Johannes Preßl






Manfred Spitzer

Digitale Demenz

Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen

Verlag Droemer


Digitale Medien nehmen uns geistige Arbeit ab. Was wir früher einfach mit dem Kopf gemacht haben, wird heute von Computern, Smartphones, Organizern und Navis erledigt. Das birgt immense Gefahren, so der renommierte Gehirnforscher Manfred Spitzer. Die von ihm diskutierten Forschungsergebnisse sind alarmierend: Digitale Medien machen süchtig. Sie schaden langfristig dem Körper und vor allem dem Geist. Wenn wir unsere Hirnarbeit auslagern, lässt das Gedächtnis nach. Nervenzellen sterben ab, und nachwachsende Zellen überleben nicht, weil sie nicht gebraucht werden. Bei Kindern und Jugendlichen wird durch Bildschirmmedien die Lernfähigkeit drastisch vermindert. Die Folgen sind Lese- und Aufmerksamkeitsstörungen, Ängste und Abstumpfung, Schlafstörungen und Depressionen, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialer Abstieg. Spitzer zeigt die besorgniserregende Entwicklung und plädiert vor allem bei Kindern für Konsumbeschränkung, um der digitalen Demenz entgegenzuwirken.


Johannes Preßl






Auf dieser Seite werden ganz bewusst auch Bücher vorgestellt, die schon länger am Markt sind, die es aber aufgrund ihrer Qualität wert sind, in Erinnerung gerufen zu werden. Eines dieser (be)merkenswerten Bücher ist:


Mathias Rüegg

Vienna Art Orchestra 1977-97

Falter Verlag, Wien, 28.50 €

128 Seiten, geb. mit zahlreichen Dokumenten und einer CD


Das 1977 gegründete Vienna Art Orchestra hat sich unter der Leitung von Mathias Rüegg Weltruhm erspielt. Auftritte in 40 verschiedenen Ländern und die Tatsache, dass die Gruppe in den USA als beste Big-Band ausgezeichnet wurde, zeugen von der Einzigartigkeit dieses Klangkörpers. In diesem Buch werden die Jahre zwischen 1977 und 1997 chronologisch mit einzigartigem Bildmaterial und internationalen Pressestimmen nachgezeichnet.

Auf jeder Seite ist die Lust an der Musik, die Freude am gemeinsamen Spielen spürbar. Mathias Rüegg hat es verstanden, hochkarätige Individualisten zu einem Kollektiv zu formen. Die beigelegte CD erinnert mit den Erfolgstiteln „tango from obango“ (1979), „from no time to rag time“ (1982) oder „blues for brahms“ (1988) an den unverwechselbaren Sound von Wolfgang Puschnig, Uli Scherer, Klaus Dickbauer und Co.

Heute ist das Vienna Art Orchestra leider Geschichte. Ein Grund mehr, sich mit diesem Buch an zwanzig erfolgreiche Jahre dieser außergewöhnlichen Big Band zu erinnern.


Johannes Preßl



Markus Hengstschläger

Die Durchschnittsfalle

Ecowin-Verlag


Ein erhellendes Buch über die Kraft der Individualität und die Aussichtslosigkeit des Durschnittsdenkens.


„Wussten Sie, dass Individualität die einzige Möglichkeit ist, sich auf Fragen aus der Zukunft, die wir heute noch nicht kennen, vorzubereiten? Und dass der Durchschnitt eine evolutive Sackgasse ist und wir trotzdem gerade mit Vollgas in diese Gasse fahren?“

Beim Genetiker Markus Hengstschläger läuten die Alarmglocken, wenn Eltern ihre Kinder loben, weil diese möglichst wenig auffallen. In seinem neuen Buch hält er ein überzeugendes Plädoyer für den Mut zum Anderssein. Er kritisiert leidenschaftlich, dass wir in unserem gegenwärtigen Werte- und Bildungssystem viel zu stark das Mittelmaß anstreben und dabei auf die Förderung individueller Talente vergessen. Sein Denkansatz bedeutet auch eine Aufwertung der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen.

Markus Hengstschläger schreibt so, wie er spricht: verständlich und mit wohldosiertem Humor. Er zeigt viele Zusammenhänge anhand von biologischen Beispielen auf und erklärt im dritten Teil des Buches, wie man die individuellen Talente von jungen Menschen besser erkennen kann. Der Autor verweist aber immer wieder darauf, dass eine Spitzenleistung ohne gezieltes Üben und Trainieren nicht möglich ist.

Ein Buch, das wach macht und dazu auffordert, die eigene Position zwischen Individualität und Konformismus zu überdenken. Allen Bibliotheken sehr empfohlen!


Johannes Preßl


Alexander Haide

Tot im Tor

Echomedia Verlag, Wien


Der Fußballmanager Johann Bäringer hat den SV Aschach aus der Bedeutungslosigkeit in die zweite Liga geführt. Er hat damit jenes Ziel erreicht, dem er jahrelang alles untergeordnet hat. Doch Johann Bäringer ist tot. Er hat sich erhängt, weil er keinen Ausweg mehr aus seiner finanziellen Situation gesehen hat.

Alexander Haide, der sich auch als Journalist einen guten Namen gemacht hat, begibt sich mit seinem Buch auf eine Spurensuche für die Gründe dieses tragischen Endes. Es gibt keinen Mord, aber einen Selbstmord, an dem vielleicht andere nicht ganz unschuldig sind. Man weiß, dass der Großteil der Handlung der Realität entspricht und dass die handelnden Personen allesamt existieren. Wenn man hinter der Gemeinde Aschach einen Ort im Steirischen Salzkammergut vermutet, sorgen vor allem zwei Namen für Heiterkeit: Bürgermeister Ottokar Gruber und der deutsche Wirtschaftsfunktionär Theobald Pudel.

In der Figur des Johann Bäringer zeichnet der Autor das Modell eines ehrgeizigen Funktionärs, der seine Freizeit, sein Familienglück und sein Geld dem Vereinsleben der Kleinstadt Aschach opfert. Er bringt den Armbrustschützenverein in neue Höhen, bewährt sich als Obmann der Musikkapelle – alles mit dem Ziel, mit dem Fußballverein sein Meisterstück zu liefern. Doch Bäringer hat zu lange falschen Freunden, lokalen Politikern und dem einflussreichen Deutschen geglaubt, die ihn mit falschen Versprechen immer weiter in die Bredouille trieben. Schließlich fälscht er sogar ein Sparbuch um mit dem Geld der Armbrustschützen offenen Forderungen der Fußballer nachzukommen.  Als Bäringer keinen Ausweg mehr sieht, wendet er sich vertrauensvoll an den Bürgermeister Ottokar Gruber, der ihn jedoch kalt abblitzen lässt. Auch Theobald Pudel hat sich wieder einmal rechtzeitig „vom Acker gemacht“, und Bäringers angeblicher „Freund“ und Nachbar Joachim hatte längst begonnen, die hart erkämpfte Lizenz zu versilbern.

In dieser Demaskierung von charakterlosen Wichtigtuern liegt auch eine der Stärken des Buches. Es legt Strukturen offen, von denen viele wissen, über die man aber im kleinstädtischen Raum oft „lieber nicht“ spricht.

„Tot im Tor“ ist ein gut lesbares Lehrstück über Praktiken im Profifußball und über schmierige Charaktere, die von großen Teilen der Bevölkerung lange Zeit als Erlösergestalten mit Macht und Geld gesehen werden.


Johannes Preßl



Christian Seiler

Andrè Heller – Feuerkopf


Wenn ein Ausnahmejournalist über einen Ausnahmekünstler schreibt.....


Er wollte immer nur das Beste. Die besten Musiker, die besten Akrobaten, die schönsten Gärten und die außergewöhnlichsten Freunde. Und es gibt wohl kaum einen österreichischen Künstler, der so stark polarisiert wie André Heller. Von neid- und hasserfüllter Ablehnung bis zu euphorischer Verehrung reicht die Bandbreite der Heller-Rezeption. Mit seinem Namen sind einzigartige Theater-, Musik- und Showinszenierungen verknüpft, Museumsbauten, Gartenprojekte und Filme, die zu Welterfolgen wurden. Der Feuerkopf André Heller hat es auf vielfältige Weise verstanden, seine Phantasie zum Blühen und ein Millionenpublikum zum Staunen zu bringen. Christian Seiler hat anlässlich von Hellers 65. Geburtstag die Stationen des Ausnahmekünstlers nachgezeichnet und sich diese Arbeit nicht leicht gemacht. Vier Jahre lang arbeitete er an dieser Biographie. Er dokumentiert Hellers wichtigste Einflüsse, seine Triumphe und seine Niederlagen. Von der Großmutter Pieps, die den kleinen Franzi früh mit dem Kosmos von Kunst und Kultur vertraut machte über den kongenialen Helmut Qualtinger bis zu Politikern und Philosophen – die Liste der Menschen, die im Leben des Ideengiganten Heller eine  Rolle spielten, ist ebenso lang wie bunt.

Die außerordentliche Qualität dieses Buches erschließt sich aus der Fähigkeit des Autors Christian Seiler, dem Gesamtkunstwerk André Heller mit sprachlicher Eleganz und auf hohem Niveau zu begegnen. Ein Buch, das man empfehlen muss!


Johannes Preßl